Jannie Niehot-Schwarz " Eine unmögliche Liebe"

Lebensgeschichte von Jannie Niehot-Schwarz –
     „Eine fast unmögliche Liebe"                                                                               


Im 1.Weltkrieg fertigten die Gebrüder Heller in Marienthal Produkte für die Rüstungsindustrie, insbesondere Seitengewehre, Säbel und Dolche für das Heer des Deutschen Reiches. Diese Aufträge belebten die Umsätze nachhaltig. Gegen  Ende der 1920iger Jahre geriet die Firma durch die Weltwirtschaftskrise in arge Bedrängnis. Zahlungsaufschub der Gläubiger und Verringerung des Gesellschafterkapitals führte dazu, dass der Betrieb ab 1932 auf neuer Grundlage und in verkleinertem Umfang schuldenfrei weitergeführt werden konnte. Alleiniger Gesellschafter wurde ab 1933 Kommerzienrat Karl Heller.
Wiederum brachte der 2.Weltkrieg einen nie für möglich gehaltenen Aufschwung.  Neben den schon im 1.WK gefertigten Stichwaffen kamen die Kugel- und Rollenproduktion, Junkers-Ringe , Leuchtspurmunition, Granaten und andere Heeresprodukte zur Fertigung.  Zur Steigerung der Produktion  hatte die Organisation „Todt“ 1943 auf dem Gelände der Firma Heller eine Betonhalle
( Gebäude Nr. 17 ) errichten lassen. 
Da es immer weniger Arbeitskräfte gab, wurden solche auch aus den westlich besetzten Ländern  Frankreich, Belgien und Holland ab 1943 komplett zwangsverpflichtet  - (aus Belgien und Frankreich gab es bis dahin auch auf Freiwilligkeit beruhende Arbeitseinsätze).  Diese unterschieden  sich vom Status der Ostarbeiter, Polen und Tschechen ganz erheblich. Sie hatten im Allgemeinen  bessere Unterkünfte, bessere Verpflegung, bessere Bezahlung und wesentlich weniger strenge Auflagen hinsichtlich des Umgangs mit den Deutschen zu fürchten.
Hier setzt Jannie Niehot-Schwarz ein, die am  10.11.1951 in Schiedam/ Niederlande geboren wurde:
Mein Vater Willem Niehot, (* 18.10.1922 in Leiden, Niederlande und + 19.04.2003), der von Beruf Fotograf war und „Wilhelm“ genannt wurde, kam 1943 zwangsweise zur Firma Heller nach Schweina.  Da er wie die anderen „Westarbeiter“ auch Ausgang hatte, lernte er nach kurzer Zeit  meine Mutter Elise Louise Menz, (* 13.04.1921 in Schweina, + 12.01.1991), die „Lieschen“ genannt wurde, kennen.  Am 11.04.1944 schon wurde meine Schwester Namens Elke geboren.
Nach dem Einmarsch der Amerikaner in Schweina ging mein Vater Willem Niehot  im April 1945 zurück nach Holland. Am Ende des Jahres kam er  wieder  zurück,  um meine Mutter und meine Schwester mit in seine Heimat zu nehmen.  Sie wollten heimlich über die niederländische Grenze gehen, wurden aber dabei entdeckt. Da sie keine Hochzeitsurkunden besaßen, wurden Mutter und Schwester abgewiesen. Der Hass auf die Deutschen war in dieser  Zeit sehr groß. Beim zweiten Versuch hatte es dann aber geklappt.
Die Behörden wollten meine Mutter und Schwester jedoch wieder ausweisen, obwohl erklärt wurde, dass sie bereits verheiratet wären, aber keine Urkunde mehr besäßen. Schließlich hat mein Vater Willem an die Niederländische Königin Wilhelmina einen Brief geschrieben, indem er  erwähnte, dass diese schließlich auch mit einem Deutschen Hendrik von Mecklenburg-Schwerin
verheiratet sei.  Danach gab es die Genehmigung für die Hochzeit.
Bis  1949 durfte die Familie Niehot nicht nach Schweina zu den Verwandten fahren. So traf man sich etliche Male an der Grenze bei  Wartha (siehe Fotos).

Grenzübergang in Wartha ( zwischen 1946 und 1949), links meine Mutter Elise Niehot, geb. Menz

Meine Mutter Elise Niehot und ihre Stiefmutter Anna Menz in Wartha

Schild auf der Westseite der Grenze in Wartha

Das erste Mal, als  unsere ganze Familie nach Schweina fahren durfte, passierte auf einem Motorrad mit Seitenwagen. Das muss in etwa  1956 gewesen sein.
Danach fuhren wir fast jedes Jahr nach Schweina. Später dann mit dem Zug oder dem  Auto.
Meine Oma Anna Menz wohnte im Zwölf Familien Haus in Schweina,  so auch mein späterer Mann.
Seine Schwestern waren meine Freundinnen und so sind wir zusammen gekommen.
Deshalb habe ich das dann beschrieben als  “Eine fast unmögliche Liebe”.

Die Familienangehörigen meiner Mutter  wohnten, wie oben schon erklärt,  hinter dem Eisernen Vorhang in Schweina / Thüringen. Dort verbrachten wir jedes Jahr unseren Urlaub. Da habe ich meinen  Mann Rainer Schwarz, der am 08.09.1948 in Schweina geboren wurde, kennengelernt.
Ab da  fuhr ich 2 bis 3 Mal im Jahr dort hin,  um ihn zu sehen. Als DDR Bürger war es ihm ja nicht erlaubt, uns in Holland zu besuchen. Als wir verlobt waren und die Stasi uns im Visier hatte, wurde mir der Zugang in die DDR verweigert. Ich  bekam kein Visum mehr.
Mein Vater hatte in der Zeitung einen Bericht gelesen, dass  eine Holländische  Delegation durch die Regierung  der  DDR nach Ost- Berlin eingeladen war. Und dieser hat er die Situation von mir und meinem Verlobten geschildert. Diese Delegation versprach zu vermitteln.
Nachdem unsere Angelegenheit mit der DDR Delegation  unter Leitung von Dr. Oeser *1)    besprochen worden war, bekam ich ein paar Wochen später ein Visum und ich konnte wieder einreisen.
Weil es für DDR Bürger nicht möglich war, das Land zu verlassen, habe ich in Ostberlin einen
Antrag auf Umsiedlung in die DDR gestellt.  Dem wurde schließlich entsprochen.
Im Herbst 1970 brachte mein Vater mich ins “Aufnahmelager Molkenberg” *2)  in der Nähe von Fürstenwalde. Mir war nicht bewusst,  dass ich dort  6 Wochen verbleiben würde.
In Gedanken sehe ich meinen  Vater noch dort stehen,  mit Tränen in den Augen und zittriger Stimme. Ich wusste, dass er dachte:  „Warum lasse ich meine Tochter hier“  und in dieser Stimmung haben wir uns verabschiedet. Nun war ich mit meinen gerade mal 18 Jahren plötzlich vollkommen auf mich gestellt.
Das Lager war wie ein Gefängnis, es war nicht möglich, das Gelände zu verlassen und Vopo’s waren Tag und Nacht da, um uns zu bewachen.
Die sechs  Wochen waren durch Verhöre und Observationen durch die Stasi gekennzeichnet. Immerhin wollte die DDR wissen, wen sie in ihren “Heilstaat” hin nein lassen.
Alle Vernehmungen, die täglich stattfanden, wurden gleich auf der Schreibmaschine festgehalten.
Und ich musste jedes Blatt Einzeln unterschreiben. Alles habe ich schließlich nicht Preis gegeben, schließlich brauchten die nicht alles von mir zu wissen, sie wussten schon genug von mir und meiner Familie.
In Molkenberg waren Menschen verschiedener Nationalitäten. Die meisten kamen aus Frankreich.
Eines Tages kam ein West-Berliner Ehepaar, das auch in die DDR umziehen wollte.
Mir war gleich bewusst, dass Beide bei der  Stasi waren. Durch ihr Benehmen wollten sie die  Reaktionen sehen,  wenn sie auf die DDR schimpften. So wollten sie eines Abends  einen  West- Sender auf dem Fernseher suchen, was natürlich in dieser Stasi-Bucht total verboten war. Ich bin da gleich auf  mein Zimmer gegangen. Am nächsten Tag wurde dieser Vorfall gleich im Verhör behandelt, wir hätten das nämlich gleich den Vopo’s  melden müssen. Lag ich doch richtig mit meiner Vermutung. So schnell wie die “West-Berliner” gekommen sind, so schnell waren sie auch wieder fort.Ich war auch fest der Überzeugung,  dass  Kameras im Zimmer zur Observation installiert waren.

Kurz vor Weihnachten musste ich den Koffer packen.  Ich wurde entlassen, nachdem mir noch gesagt
wurde, nie etwas über Molkenberg  zu erzählen.
Die Polizei brachte mich nach Berlin. Ich erhielt eine Fahrkarte nach Eisenach und 20 Ost Mark. Also hatte ich die DDR-Aufnahmeprüfung bestanden.
Das Leben in der DDR war nicht unangenehm, wenn man sich an die Regeln hielt und nicht außer der Reihe tanzte. Politisch wurde ich in Ruhe gelassen, was sich aber änderte, als ich an der Medizinischen Fachschule anfing zu arbeiten.  Ich wurde da gezwungen, mich politisch zu beteiligen. Ich hatte mir immer vorgenommen,  dass ich dazu niemals bereit sein würde.  Das habe ich auch einer  Mitarbeiterin, natürlich einem  SED-Parteimitglied, ziemlich deutlich gemacht.
Von dem Tag an wusste ich,  dass es an der Zeit sein würde,  wenn es ginge, die DDR mit der Familie zu verlassen.  Wir haben die Niederländische Botschaft in Berlin besucht und von unserem  Abenteuer in Kenntnis gesetzt, das Land Legal zu verlassen zu wollen.  Ich war geschützt,  aber die Familie nicht.  Am 30 April 1980 haben wir den Antrag gestellt auf Ausreise.
Unserer  Familie in der DDR haben wir nichts davon erzählt und alles Geheim gehalten.
Mein Mann wurde danach bei der Stasi in Bad Salzungen  zum “Verhör” eingeladen.
Die Stasi fragte nach dem Grund der Ausreise und  wie ausgemacht, hat mein Mann gesagt,  dass ich Heimweh hätte und  nach Holland zurück wollte. So wollten wir die Politik umgehen.
Die Med. Schule bekam schnell Besuch von der Stasi. Ich durfte das Gelände nicht mehr betreten und dort nicht mehr arbeiten......Berufsverbot.......
Nach 10 Jahren DDR, für mich jedenfalls, konnten wir das Land am 28-08-1980 verlassen.
Wir haben danach geregelt die DDR besuchen dürfen.  Ich musste,  wie früher auch,  wieder ein Visum beantragen,  so  konnten auch Mann und Kinder einreisen.
Vor einigen Jahren haben wir unsere Stasi-Akten beantragt.
Von mir war ja genügend vorhanden, denn  der  “Genosse O” aus Bad Salzungen hatte mir damals die Mappe aus Molkenberg mit viel Schadenfreude gezeigt. Er wollte mich dazu bringen,  DDR Bürgerin zu werden, ich hatte das schließlich in Molkenberg unterschrieben. Ich habe ihn darauf gefragt,  wie alt ich in der Zeit war, als ich die Unterschrift geleistet hatte. Das waren 18 Jahre. Eine Niederländische Staatsbürgerin ist aber erst mit 21 Jahre volljährig. Die Mappe wurde zu geknallt und ich wurde nie mehr in meiner DDR-Zeit belästigt.
Unsere Stasi-Akten waren jedenfalls nicht mehr da.  Wahrscheinlich hat dieser “Genosse O” während der Novembertage in 1989 die Akten vernichtet.
Die Novembertage von 1989 stehen noch frisch in unserem  Gedächtnis.
Das Fernsehen lief Tag und Nacht,  um ja nichts zu verpassen von den Nachrichten und Demonstrationen.
Etwas, das niemand für möglich gehalten hätte, wurde am  09.11.1989 Wahrheit.
                                 Der Fall der Berliner Mauer.
*1) Von 1969 bis 1972 war Oeser im Außenministerium der DDR als Leiter der Abteilung Westeuropa tätig  https://de.wikipedia.org/wiki/Ingo_Oeser

*2) Aufnahmeheime bestanden Mitte der sechziger Jahre auf zentralstaatlicher Ebene in Barby, Eisenach, Pritzier und Saasa sowie auf bezirklicher Ebene in Velgast, Militzsee, Loburg, Schmalkalden, Kraftsdorf, Karl-Marx-Stadt, Zirkelschacht, Leipzig, Dresden, Kablenz, Fürstenwalde, Potsdam und Berlin-Weißensee. Dieses Netz ließ sich die DDR mehr als 3 Millionen Mark im Jahr kosten. 1969 waren in den Aufnahmeheimen 285 Mitarbeiter beschäftigt, die als Angestellte der Heime die Migranten versorgten, sie als Mitarbeiter des Pass- und Meldewesens erfassten, sie als Angehörige der Kriminalpolizei vernahmen oder sie als Mitarbeiter des Betriebsschutzes bewachten. Nicht mitgerechnet sind hierbei die Mitarbeiter der Staatssicherheit, die Migranten vernahmen sowie Spitzel anwarben. Obwohl die Heime ihre Plätze bereits reduziert hatten (so etwa das größte, Barby, von 650 auf 260 Betten), waren die Heime mit ihrer Gesamtkapazität von 1.500 Plätzen nicht einmal zu einem Fünftel ausgelastet. Die Migranten mussten dabei durchschnittlich 24 Tage in den zentralen und 38 Tage in den regionalen Aufnahmeheimen bleiben.

 



Nachtrag:  Ein Foto aus der Zeit der Gastarbeiter in Schweina  (1943 bis 1945)
An meine Freunde, die Holländischen Kameraden – mit  Freundlicher  Erinnerung  (Das stand in Französisch  hinten auf unterem  Foto).
Mein Vater stand inmitten der Gastarbeiter – hinten zweiter von rechts,unten rechts ein Franzose oder französisch sprechender Belgier, der sich noch lange
mit unserer Familie getroffen hatte