Kapelle Glasbach
Rudolf Feustel https://de.wikipedia.org/wiki/Rudolf_Feustel , Karl-Heinz Herrmann, Werner Schade, Arthur Suhle haben in Alt-Thüringen, einer Jahresschrift des Museums
für Ur- und Frühgeschichte Thüringens, das 1961 bei Hermann Böhlaus Nachfolger erschienen war, die wüste Kapelle Glasbach am Rennsteig beschrieben.
Die Kapelle der mittelalterlichen Wüstung Glasbach liegt zwischen Ruhla und Steinbach, südwestlich des Gerbersteins, oberhalb eines nach Steinbach abfallenden,
quellreichen Wiesengrundes in 655 m Höhe. Von den Steinbacher Einwohnern wird die mit Immergrün und Brennesseln bewachsene Stelle als "Wallfahrt" und von den Ruhlaern als "Walper" bezeichnet.
Unmittelbar westlich der Kapelle führen die tiefen Hohlwege der ehemaligen Altensteiner oder Weinstraße vorbei, die hier den Thüringer Wald quert. Östlich und westlich liegen zahlreiche Pingen
vom mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Eisenerzbergbau. Mehrere Schlackenhalden zeugten davon, dass das Erz gleich an Ort und Stelle verhüttet worden ist. Im Ersten Weltkrieg wurden sie aber
wieder abgebaut, so dass neuerdings Herrmann nur noch eine Halde im Luthergrund auffinden konnte.
Die älteste urkundliche Nachricht von dieser Ansiedlung stammt aus dem Jahre 1183. Papst Lucius III. bestätigt darin die Besitzungen des Mönchklosters von
Königs-Breitungen und zählt unter anderem eine "capella in Glasebach" auf. Im Frankensteinschen Kaufbrief von 1330 wird Glasebach als "villa" bzw. "dorf" angeführt. Als 1521 Martin Luther von
Worms zurückkehrte und, von Möhra kommend, auf der Weinstraße den Thüringer Wald überqueren wollte, um nach Waltershausen und Gotha zu gelangen, wurde er in einem Hohlweg bei Steinbach unweit der
"wüsten Kirche Glasbach" gefangen genommen. Glasbach lässt sich demnach auf Grund der Urkunden in das 12. bis 15. Jahrhundert datieren. Nach Ortmann und Brückner soll die Kapelle dem
heiligen Michael geweiht gewesen sein. Belege für diese Behauptung sind uns jedoch nicht bekannt geworden.
Wucke hat dazu auch Sagen aufgeschrieben, die offenbar einen objektiven Kern enthalten. Das waren: Die Sage "Vom Niesen am Glasbach", "Vom weißverschleierten
Fräulein an der "Wallfahrt"", "Von der weißen Jungfer und den Schatzgräbern auf der "Wallfahrt" und "Von dem gespenstigen Kloster und seinem Schatze an der "Walper".
In der äußerst umfangreich dokumentierten, akribisch mit Zeichnungen untersetzten Ausgrabung von 1957 wurde eingegangen auf : das Kirchengebäude, die Bestattungen, die Münzen, die Pilgerzeichen, die Eisengegenstände, die Technik der Eisenerzeugung und -Verarbeitung, die Verhüttung, die Bearbeitung, die metallurgische Untersuchung der Funde, die Keramik.
Zusammenfassend wurde erklärt:
Die ersten Siedler des Dorfes Glasbach, das bei der Ausgrabung der Kapelle jedoch nicht gefunden wurde, ließen sich hier im 12. JH nieder. Sie versuchten, einen
Brunnen zu graben, mussten aber ihr Vorhaben einstellen, als sie in 2 m Tiefe, ohne Wasser angetroffen zu haben, auf massiven Fels stießen. Möglicherweise bauten sie schon eine kleine hölzerne
Kapelle. Dieses Gebäude ist aber noch im gleichen Jahrhundert einem Brand zum Opfer gefallen; Brandschutt aus dieser Zeit liegt in einem kleinen Rest vor. Um diese Kapelle herum bestattete man
wohl schon die Toten, und zwar könnte man annehmen, dass zumindest die Bestattung ( als Nr.10 aufgeführt) aus dieser frühen Zeit stammt.
Schon kurze Zeit nach dem Brand wird man die recht geräumige steinerne Kirche errichtet haben, und zwar als rechteckigen Saalraum mit Chorquadrat; erst später wurde
der Nebenraum als Reliquienraum oder Sakristei angebaut. Jetzt füllte man auch den Brunnenschacht mit Erde und Bauschutt (Dachziegelbruchstücke !) zu. Um die Kirche zog man in einigem Abstand
eine massive Mauer, die in Anbetracht der Stärke beachtlich hoch gewesen sein kann.
Im 13. Jh. brannte auch diese Kirche ab. Dabei zerschmolz die Glocke; Bronzetropfen davon fanden sich in der Brandschicht 5. Die Mauern dürften noch gestanden
haben, vielleicht mit Ausnahme der Westmauer. Das würde erklären, warum man nach Zufüllen der Grube in der Nordwestecke des Saales eine neue Mauer errichtet hat. Vielleicht wollte man auch nur
einen kleinen Vorraum schaffen. Der Brandschutt wurde weitgehend weggeräumt und auch ältere Schichten größtenteils beseitigt.
Das wieder instandgesetzte Gebäude diente nun offenbar nicht mehr (allein) sakralen, sondern profanen Zwecken. Die zahlreichen Scherben von Kochtöpfen u.a.
Gebrauchsgeschirr, der Spinnwirtel, die vielen Bruchstücke von Hufeisen, die Trense, der Steigbügel und selbst das Pilgerzeichen deuten darauf hin, dass das feste Gebäude als Wohn-- (Stall)- Haus
und vielleicht als Unterkunftsstätte für Reisende gedient hat, zumal der ummauerte Hof auch Pferden und Wagen Schutz gewährte. Eigenartig ist dabei, dass
anscheinend noch in dieser Zeit in Teilen des umfriedeten Raumes bestattet worden ist.
Im 14. JH errichtete man auf der Basis der schon früher abgebrochenen Mauer zwischen Chor und Saalraum eine neue, dünnere Mauer. Außerdem wurde die Halle durch eine
Längsmauer in zwei, und vielleicht, durch eine davon nach beiden Seiten abgehende Quermauer, sogar in vier kleinere Räume aufgeteilt. Unerklärlich ist, dass trotz der gefundenen Ofenkacheln keine
Öfen und nicht einmal eine Herdstelle nachgewiesen werden konnte. Im Laufe der zweiten Hälfte des 14. JH scheint das Gebäude verlassen worden sein. Die Dorfbevölkerung wird in dieser Zeit schon
zum großen Teil weggezogen sein: Es entstand eine Totalwüstung.
Beim Bau der massiven Kapelle und bei ihrer späteren Benutzung als "Unterkunftsstätte" spielte sicherlich die Lage an der Weinstraße eine Rolle. Die Fuhrwerke
erreichten hier von Süden kommend die Höhe. Die Reisenden konnten jetzt ihre religiösen Bedürfnisse erfüllen und notfalls Schutz finden. Vermutlich wurden hier auch die im Tal gemieteten
Vorspannpferde wieder abgespannt und eventuell vorübergehend eingestellt.
Die zahlreichen in der Kirche gefundenen, aus einheimischem Erz hergestellten Hufeisen könnten aber auch von Pferden stammen, die Erz, Roheisen u. a. transportiert
hatten.
Der Dorfgründung und dem Wüstwerden lagen aber noch andere wesentlichere, ökonomische Ursachen zugrunde:
Im Hinblick auf den Namen Glasbach könnte man annehmen, dass es sich um eine Glasmachersiedlung gehandelt hat, und das wäre dann der älteste Nachweis einheimischer
Glasproduktion. Wir fanden bei unseren Ausgrabungen aber nicht eine einzige Glasscherbe und auch keine sonstigen Anzeichen für ein derartiges Gewerbe; das Problem muss deshalb offengelassen
werden. Große Bedeutung hatten zweifellos die Bodenschätze. In unmittelbarer Nähe treten mehrere Erzgänge zutage, die ein hochwertiges manganreiches Eisenerz enthalten. Wie die zahlreichen Pingen
noch heute erkennen lassen, muss hier lange Zeit ein reger Abbau stattgefunden haben. Die Verhüttung erfolgte in unmittelbarer Nachbarschaft, wie die Schlackehalden zeigen. Durch das Analysieren
von Erz, Schlacken und anderen Funden konnte erstmals nachgewiesen werden, dass auf dem westlichen Thüringer Wald bereits im 12. JH Eisenerz abgebaut, verhüttet und das Schmiedeeisen weiter
verarbeitet worden ist.
Glasbach bewohnten demnach sehr wahrscheinlich in erster Linie Bergarbeiter, Schmiede und Köhler. Diese haben selbstverständlich auch Vieh gehalten, das in den
Mischwäldern eine gute Futterbasis fand, und selbst etwas Ackerbau getrieben, wie aus den Sichelfunden hervorgeht. Die Landwirtschaft kann aber wegen der Höhenlage (655 m) und den entsprechend
ungünstigen klimatischen und edaphischen Bedingungen nur Nebenerwerbszweig gewesen sein und nur einen Teil des Eigenbedarfs an Nahrungsmitteln gedeckt haben. Das Dorf ging ein, als die
Eisenverhüttung und -Verarbeitung eine revolutionäre Entwicklung durchmachte: Man ging vom primitiven zum produktiveren Stückofen über und nutzte vor allem in wachsendem Maße die Wasserkraft für
Hammerwerke und ähnliches aus. Diese stand aber naturgemäß nicht auf den Höhen, sondern im Tale zur Verfügung, und deshalb entstanden in den Tälern die neuen Produktionsstätten. Es ist leicht
verständlich, dass diesen bald auch die Siedlungen folgten. Neue Dörfer wurden gegründet, und die schon vorhandenen nahmen an Einwohnerzahl zu. 1348 wird urkundlich erstmalig ein Eisenhammer in
Lauterbach bei Brotterode erwähnt.
Auf den rohstofforientierten Gewerben des hohen Mittelalters basiert demnach die Kleineisenindustrie des westlichen Thüringer Waldes, die auch heute noch in diesem
Gebiet ihre Bedeutung hat bzw. aus der in neuerer Zeit andere Industrien erwachsen sind.